Rezensionen
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Anthropos 79.1984
Berichte über die Legitimierung von Herrscher- und Dyna
stiewechseln auf nichterblicher Basis von einer neuen Per
spektive an. Die chinesische Geschichte wurde traditioneller
weise als eine Folge von Dynastien gesehen, wobei die
Herrschaft einer Dynastie so lange in der Erbfolge gesichert
war, als sich die einzelnen Herrscher nicht in irgendeiner
Weise schwer verfehlten oder sie - chinesisch gesprochen -
das Mandat des Himmels (t’ien-ming) besaßen. In histori
schen und philosophischen Schriften aus der Chou-Zeit
(1050-249 v. Chr.), insbesondere aus der Epoche der „Strei
tenden Reiche“ (Chan-kuo, 475-221 v. Chr.), und selbstver
ständlich dem großen historischen Werk Shih-chi des Ssu-ma
Ch’ien (ca. 145-85 v. Chr.) aus der Han-Zeit wurde das
Problem der Legitimität immer wieder anhand von mythi
schen bzw. quasihistorischen Berichten über die Thronfolge
bei den Urkaisern sowie den Dynastien Hsia, Shang und
Chou thematisiert, allerdings in unterschiedlicher Weise.
Die Autorin unternimmt mit ihrer Studie den Versuch,
die verschiedenen Konzeptionen einander gegenüberzustel
len und gewissermaßen Modelle legitimer bzw. legitimierter
Verhaltensmuster aufzuzeigen, so wie sie die Quellen dar
stellen. Die interessierenden Präzedenzfälle sind immer dann
gegeben, wenn anstelle der natürlichen Erbfolge die morali
sche Tauglichkeit und Befähigung (te) tritt, sei es, daß der
Vorgänger seinen Nachfolger bestimmt, sei es, daß der
letztere die Macht gewaltsam an sich riß.
Bei den mythischen Urkaisern Yao, Shun und Yü
spricht nur das Werk des Han Fei-tzu (gest. 233 v. Chr.)
davon, daß Shun und Yü Königsmord (shih) begingen, die
Bambusannalen (Chu-shu Chi-nien) berichten immerhin von
einer Usurpation Shuns und der Gefangensetzung Yaos. Die
meisten Texte überliefern aber eine Machtübertragung von
Yao an Shun, der Yaos leiblichem Sohn Tan Chu vorgezogen
wird, den das Shih-chi und Meng-tzu als „unwert“ (pu hsiao)
bezeichnen. Die Autorin kontrastiert Shun, den Weisen,
einerseits mit Tan Chu, dem Erben, andererseits mit Hsü Yu,
einem Weisen, dem der Thron ebenfalls angetragen wurde,
dieses Ansinnen aber aus Rücksichtnahme auf die Ansprüche
des rechtmäßigen Erben (Tan Chu) zurückwies. So heißt es
im Lü-shih ch’un-ch’iu („Frühling und Herbst des Lü
Pu-wei“), einem Werk aus dem 4.Jh. v. Chr. (18/14a): “A
man who accepted the empire and was yet a man of worth
[chines.: hsien] is Shun.... A man who refused it and was yet
a man of worth is Xu You [Hsü Yu]” (41).
Die Figur des Hsü Yu bringt eine etwas modifizierte
Stellungnahme zur grundsätzlichen Präferenz des nichterb
berechtigten Weisen („The Sage“) vor dem unwürdigen
Erben („The Heir“), da sich hier eine gewichtige Stimme für
das Recht des legitimen Erben erhebt. Sarah Allan hat in ihrer
profunden Untersuchung herausgearbeitet, daß Shun zwi
schen diesen beiden Extremen eine mittlere Rolle („mediato-
ry role“) eingenommen hat, da er nicht nur „der Weise“ ist,
sondern gleichzeitig auch Schwieger- und Adoptivsohn des
Yao, und somit das Erbprinzip nicht gänzlich außer acht
gelassen wurde. Eine zusätzliche Problematisierung bildet
das Verhältnis Shuns zu seinem (leiblichen) Vater Ku Sou
und seinem Bruder Hsiang, die beide als schlechte Charak
tere geschildert werden und Shun mehrmals nach dem Leben
trachteten. Shuns vorbildliches pietätvolles Verhalten gegen
über Vater und Bruder wird von allen Quellen hervorgeho
ben, andererseits aber dann doch der Bruch der Pietät durch
die Aufnahme eines Sohnverhältnisses zu Yao. Insofern ist
der Vorwurf der „Unväterlichkeit“ des Yao gegenüber Tan
Chu sowie des Verletzens der Sohnespflicht (Shun gegenüber
Ku Sou) berechtigt, doch die Tauglichkeit und Würdigkeit
letztlich wichtiger. Immerhin wurde Shun aber auf vielfache
Weise als Nachfolger Yaos legitimiert, nicht nur aufgrund
seines Status als Weiser und Adoptivsohn, sondern auch
durch seine Rolle als Minister und späterer Regent Yaos,
einem Grundmuster späterer „Gründungsminister“ (foun-
ding ministers), d. h. von Ministern, die beim Sturz einer
alten und Aufstieg einer neuen Dynastie eine gewichtige
Rolle spielen.
Als letzte und entscheidende Quelle der Legitimität des
tüchtigen Weisen wird aber in einer Umwandlung der
Legende im Meng-tzu nicht die rituelle Abdankung Yaos
und seine Empfehlung Shuns an den Himmel angesehen: hier
regierte Shun nach Yaos Tod für drei Jahre und übergab dann
die Herrschaft Tan Chu; das Volk aber wandte sich von
diesem ab und Shun zu, dem damit das Mandat des Himmels
{t’ien-ming) zufiel.
Als Legendengruppen 2 und 3 bezeichnet die Autorin
die Machtübergabe von Shun zu Yü, die nach einem
ähnlichen Muster wie die von Yao zu Shun verläuft, und die
Begründung einer Erbdynastie (den Hsia) durch den Über
gang der Macht von Yü zu dessen Sohn Ch’i. Die Probleme
im Verhältnis von Shun und Yü sind etwas anders gelagert, da
Yüs Vater Kun - ein Flutheros wie sein Sohn - nach
amtlichem Auftrag Überschwemmungen durch Deichbauten
nicht verhindern konnte und deshalb von Shun (zu Unrecht)
hingerichtet wurde. Yü stellt aber hier nicht die Pietät
gegenüber seinem Vater in den Vordergrund, die ihm
gebieten würde, sich gegen dessen Mörder (Shun) zu
wenden, sondern stellt sich im Gegenteil selbstlos diesem als
Regent und Nachfolger zur Verfügung, nachdem andere
Weise dies abgelehnt haben (Shuns Söhne sind des Erbes
nicht wert). Auch Yü übernahm zunächst die Rolle eines
Gründungsministers, und diese Art des Machttransfers
schien sich unter seiner Herrschaft fortzusetzen, denn er
bestimmte I statt seines Sohnes Ch’i zum Nachfolger. Doch
Ch’i gelang es, dem I die Macht zu entreißen und selbst
Herrscher zu werden, da er ebenfalls ein tauglicher Mann
(hsien) war; Meng K’o interpretierte dies als Entscheidung
des Himmels. Wie Shun und Yü nimmt aber auch Ch’i eine
mittlere Rolle ein, da er zum einen dem Willen seines Vaters
zuwider handelte und zum anderen eine Rebellion seines
eigenen Sohnes Wu Kuan niederschlug, er also auch das
Prinzip der Pietät und Erbfolge durchbrach. Dessen unge
achtet sah die chinesische Historiographie in ihm den
Begründer einer Erbdynastie. Die Rechtfertigung des gewalt
samen Umsturzes findet sich bei der Absetzung der letzten
Hsia-Herrschers Chieh durch T’ang, den Gründer der
Shang-Dynastie. Chieh wird als der erste in der Reihe von
„schlechten letzten Herrschern“ einer Dynastie dargestellt,
dessen Herrschaft sich durch Chaos (luan), Gewalt (pao),
Grausamkeit (niieh) und Ausschweifung (yin) auszeichnete,
Eigenschaften, die auch den Söhnen Yaos und Shuns
zugeschrieben wurden. In besonders schwarzen Farben wird
die Herrschaft des letzten Shang-Königs Chou Hsin ausge
malt, dessen Anhäufung von Verbrechen ihn eher als