Das Blut in Kult und Glauben der vorgeschichtlichen Menschen
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färbung. Das von ihm als bedeutsamstes Relikt der Jägersiedlung bezeichnete
Objekt hält er für ein Ritualgerät, das den australischen Churinga oder „Gei
stersteinen“ entsprechen könnte.
Bezeugen die Ockerfunde in der angeführten Bestattung und in den Sied
lungen „rituelle“ Rotfärbung? Kritisch äußert sich A. Leroi-Gourhan (1964
und 1971: 66) ; „C’est en effet vers la fin du Moustérien qu’on en trouve les
premiers fragments, sans qu’aucune explication soit accessible sur leur usage.
Puisqu’on ne connaît ni peinture néanderthalienne ni sépulture à ocre de cette
époque.“ Es dürfte aber Körperbemalung, wenn auch nur als Hypothese, an
zunehmen sein. Es handelte sich aber wohl nicht bloß um äußerliche Körper
zier. Wie wir hörten, wird der Körperbemalung vornehmlich ein religiöser
Charakter zugeschrieben.
H. Sedlmayer (1952: 348-349) sagt: „Wenn dagegen die Menschen des
Moustériens ihre Toten mit Ocker rot färbten, so vermuten wir (ob mit Recht
oder Unrecht, bleibe dahingestellt), daß diesem Vorgang das Erlebnis des numi-
uosen Charakters der roten Farbe zugrunde liegt.“
Das Erlebnis des „numinosen Charakters der roten Farbe“ muß jedoch
'Wohl bei dem angeblichen „Ritualgerät“ von Tata vorliegen. Seine Rot
bemalung oder einstige Lagerung in Ocker scheint etwas wie eine Auffüllung
oder Auffrischung mit numinoser Macht bedeutet zu haben. Dürfen wir also
sagen, daß schon die Neandertaler die Vorstellungsreihe Blut/rote Farbe /
Lebenskraft entwickelt haben?
2. Jungpaläolithikum
Im anschließenden Jungpaläolithikum sehen wir eine reiche und viel
fältige Verwendung der roten Farbe. Den großen Bedarf bezeugt uns ein Fund
aus Ungarn, bei Lovas, County Veszprem, wo G. Meszäros und L. \ ertes
e ine wahre Farbmine entdeckten, die im frühen Jungpaläolithikum intensiv
ausgebeutet worden ist. Die Zeitspanne ihrer Ausbeutung scheint nur kurz
gewesen zu sein, aber sie muß mehrmals und ausgiebig erfolgt sein. Aus einem
der vielen Schächte allein waren 12 Kubikmeter reinen Ockers gefördert wor
den. Schon diese enorme Menge überstieg die Bedürfnisse einer einzigen Gruppe,
w fe groß sie auch immer gewesen sein mag. Daraus folgt, daß die Produktion
’Wohl für den Tausch geschah und die Farbmine eine der ersten Produktions-
Natten für den Markt darstellt.
Die Vielfalt der Funde erlaubt uns nun, im Jungpaläolithikum die Unter
suchung in drei Gruppen aufzuteilen: Grab und rote Farbe, Siedlung und rote
Larbe, Kult und rote Farbe.
r Ö Grab und rote Farbe
Die meisten Bestattungen mit mehr oder minder reichen Spuren roter
F arbe sind in Frankreich und Ligurien gefunden worden. Ihnen schließen sich
vereinzelte Funde aus England, Italien, Deutschland, der Tschechoslowakei