Buchbesprechungen Afrika
215
noch eine weit dichtere Vegetation denn die heutige
existierte. Der gesamte Arbeitsgang vom abwechselnden
Auffüllen des Ofens mit Holzkohle und Eisenerz über
die Bedienung der Gebläse bis zur endgültigen Gewin
nung des Roheisens war eine wohlorganisierte Gemein
schaftsleistung der Schmiede, die auf ihre spezifischen
verwandtschaftlichen Bindungen gründete. Der Autor
meint, daß ein Reduktionsvorgang im Schmelzofen vom
Typ boonga Eisen für etwa 120 bis 160 Klingen der
traditionellen Feldhacke zu liefern imstande war.
Es folgt nun eine ausführliche Beschreibung des Schmie
dehandwerks selbst, d.h. der Umsetzung des Roheisens
in brauchbare Werkzeuge und Geräte. Zu den Produkten
gehörten Waffen, Hacken, Äxte und Dechsel, daneben
auch kleinere Werkzeuge für den Hausgebrauch wie Mes
ser, Nadeln und Pinzetten. Besondere Aufmerksamkeit
schenkt Samtouna einem von den Schmieden entwickel
ten Feuerzeug, das auf der Grundlage der Nitro-Karbu-
rierung funktioniert.
Im dritten und letzten Teil seiner Arbeit untersucht der
Autor die sozio-ökonomischen Aspekte der Eisenindu
strie. Neben der Vermarktung der Produkte im Umkreis
der Schmiedewerkstatt ermöglichte das Gesamtaufkom
men in Verbindung mit hoher Qualität der Verarbeitung
einen Fernhandel, über den Eisenwaren aus Yatenga im
Norden bis Mali, im Süden teilweise bis ins heutige
Ghana gelangten. Auf diese Weise konnte sich bei man
chen Schmieden ein gewisser Wohlstand entwickeln, ob
wohl auch in solchen Fällen der händlerische Aspekt nie
den des Handwerkers übertraf. Der Schmied blieb eben
Schmied. Warum dies so ist, wird deutlich, wenn Samtou
na auf das soziale Umfeld der Schmiede eingeht. Alle
Schmiede in Yatenga hatten eine gemeinsame Identität
entwickelt, welche sie zu Solidarität zwang. Jene Identi
tät gründete vor allem auf ihre mythische Abkunft und
die Tatsache, daß der Stammvater aller Schmiede die
Menschen »von der Natur befreit« habe (S. 146), in dem
er ihnen Werkzeuge gab. Solche Selbsteinschätzungen
führten nach Ansicht Samtounas unter anderem dazu,
daß die Schmiede gegenüber dem Rest der Gesellschaft
Yatengas eine ambivalente Stellung einnahmen, welche
ihnen teilweise von außen aufgezwungen wurde: einer
seits die Marginalisierung durch die Endogamie, ande
rerseits der Schmied als neutrale Person und Mann des
Friedens, wie der Autor meint.
Er versucht nun, den Ursachen der Endogamie nachzu
gehen, wobei er nach einer Überprüfung des ökonomi
schen Rahmens zu dem Schluß kommt, sie sei letztlich
auf das Gesellschaftsmodell der Dogon zurückzuführen,
von denen sich ja viele Schmiedegruppen herleiten. Sam
touna betont, daß der Schmied nicht als Paria anzusehen
sei. Dies belegen vor allem jene gesellschaftlichen Funk
tionen, die er nun anführt: die Rolle des Schmiedes bei
der Inthronisation des Herrschers, der Schmied als Rich
ter und Vermittler, der Schmied als Heiler und Hüter
einer geheimen Macht, die ihren Sitz in der Schmiede
werkstatt hat. Das Büchlein endet mit einer Zusammen
fassung, in der Samtouna noch einmal die historische
Bedeutung der Eisenindustrie für die gesellschaftliche
Entwicklung in Yatenga betont. Es folgt ein Plädoyer
dafür, das Handwerk des Schmiedes auch im modernen
Burkina Faso zu erhalten und jenem die Mittel in die
Hände zu geben, mit denen er den gewandelten Bedürf
nissen der Gesellschaft gerecht werden kann.
Neben dem durchgängig erkennbaren wissenschaftlichen
Interesse am Stoff zeichnet die Arbeit Samounas eine
durchaus persönliche Note, welche mit Sicherheit auf
sehr enge Kontakte zu jenen Gewährsleuten zurückzu
führen ist, die sich noch heute als Schmiede verstehen. In
diesem Zusammenhang wird auch das nahezu leiden
schaftliche Schlußplädoyer verständlich. Allzuleicht
drängt die Kritik solche Akzentuierungen als vermeid
bare Subjektivismen ins Negative. Doch hat etwa A.
Schweeger-Hefel immer wieder betont, wie anregend
ihre Gespräche mit Schmieden gewesen seien, wobei sie
stets deren auffällige Intelligenz und Aufgeschlossenheit
meinte. Auch ich habe mich bei meinen Forschungen in
Yatenga und Riisyam von solchen Erfahrungen leiten
lassen, wußte ich doch, daß ich bei den Schmieden stets
Antworten auf jene Fragen erhalten würde, die andere
Gruppen nicht zu geben imstande waren. Auch solche
durch die Distanz der Fremdheit vorbelasteten Europäer
also waren in der Lage, das Besondere in der Existenz
des Schmiedes wahrzunehmen. Es ist deshalb nicht ver
wunderlich, wenn ein junger Wissenschaftler aus Burki
na, der - nach seinem Familiennamen zu schließen -
nicht einmal von Schmiedeabkunft ist, seine Sympathie
für den Kontext des Eisenhandwerks immer wieder
durchscheinen läßt. Beide Haltungen - die des Burkina
bé und jene der Europäer - weisen einheitlich auf die
besondere Position des Schmiedes in Yatenga hin, die
sich weder auf die scheinbar restriktive Endogamie noch
auf das hypothetische Pariatum gründen läßt. Das Be
sondere am Schmied - und dies ist auch der Grundtenor
Samtounas - liegt eben darin, daß er mythisch gesehen
ein Kulturbringer ist und nur durch ihn die menschliche
Existenz, so wie sie sich darstellt, möglich wird. Dement
sprechend war er in die Gesellschaft des vorkolonialen
Yatenga integriert.
Abgesehen vom Persönlichen finden sich wissenschaft
lich gesehen in Samtounas Arbeit Hinweise auf Aspekte
des Schmiedehandwerks, die unser Bild von diesem be
trächtlich erweitern. Noch nie gab es eine zusammenhän
gende Darstellung der Schmelzofen-Typen und des Re
duktionsvorganges für den Raum der nördlichen Moose-
Staaten. Hinzu kommen Details aus dem sozio-ökonomi-
schen Bereich, wie etwa der Hinweis, daß dem Schmied
infolge seines relativen Wohlstandes die Mädchen ande
rer Gruppen »schöne Augen« gemacht hätten - und dies
trotz Endogamieregelung; hier wohl ein Hinweis auf
Formen der joking relationship.
Besonders dankbar bin ich dem Autor für die Bestäti
gung dessen, was ich selbst für die nördlichen Moose-
Staaten nachzuweisen versucht habe: die Endogamie der
Schmiede ist auf die Gesellschaft der frühen Dogon und
damit letztlich auf die »sudanische Kastengesellschaft«
am oberen Niger zurückzuführen. Auch Samtouna ge
braucht den Terminus »sudanisch« bei der Darlegung
seiner Position (S. 152).
Insgesamt ist die vorliegende Arbeit kein »akademi
sches« Produkt entsprechenden Volumens, sondern ein
Büchlein voll innerer Spannkraft, durchscheinender
Menschlichkeit, welches darüberhinaus immer wieder
wissenschaftlich den Punkt trifft.
Arnulf Stössel