Reisende Frauen - bewegte Geschlechterverhältnisse?
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Anthropos 100.2005
ten ja besser von Mitgliedern aus armen, “einfa
chen” und “rückständigen” Kulturkreisen erledigt
werden können. 17 Viele der interviewten Gastmüt
ter würdigten die Arbeitsleistungen der Au-pairs
nicht, obwohl sie die Tätigkeiten selbst als un
dankbar empfanden. Sie reproduzierten bewusst
wie unbewusst die gesellschaftliche Abwertung
der Hausarbeit. Ihr doing gender als progressive
berufstätige Frau verläuft entlang der Abwertung
der klassischen Hausfrauenrolle und der Aufwer
tung der Arbeit als Möglichkeit der Selbstverwirk
lichung. Die Au-pairs wiederum, die häufig selbst
in der Migration eine Möglichkeit sahen, aus tra
ditionellen Familienstrukturen ihrer Herkunftslän
der auszubrechen, werteten sich selbst auf, indem
sie die deutschen Gastmütter als “Rabenmütter”
und “schlechte Hausfrauen” abqualifizierten und
damit ihrerseits traditionelle Weiblichkeitsmuster
reproduzierten. Hier zeigt sich deutlich, dass doing
gender immer auch doing difference ist - inter
essanterweise nicht nur zwischen den Geschlech
tern, wie es in der Frauenforschung häufig den
Anschein hat. Auch innerhalb ein und derselben
Geschlechtsgruppe/klasse kommt es zu sozialen
Polarisierungen.
Bundesdeutsche Frauen haben die Kosten für
die Teilnahme am gesellschaftlichen Strukturwan
del an Frauen ausländischer Herkunft weiterge
reicht. Auch wenn sie selbst Benachteiligungen
aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit erfahren
mögen, genießen sie aufgrund ihrer sozialen und
nationalen Zugehörigkeit Privilegien gegenüber je
nen “anderen” Frauen, die aus dem Gleichbe
rechtigungsdiskurs ausgeblendet werden (Hess und
Lenz 2001: 157). Hier greifen geschlechtliche und
rassistische Diskriminierung neu ineinander: “It
is not only gender but also ‘racial’ identitites
that are reproduced through household labour”
(Anderson 1999: 119). Und dennoch: Der Einzug
der bezahlten Haushaltshilfen, der auf den ers
ten Blick als eine mögliche Lösung von Yerein-
barkeits- oder Gleichberechtigungsproblemen er
scheint, ändert nichts daran, dass auch im Zeitalter
der Globalisierung Haus- und Reproduktionsarbei
ten als Arbeit unsichtbar und in der Hand von
Frauen bleiben. Neu ist lediglich, dass jetzt die
Frauen die gesellschaftliche Abwertung der Ver
sorgungsarbeiten und Hausfrauenrollen mitprodu
zieren. Neu ist auch, dass die Frage “Wer putzt
17 Hier leben rassistische Klischees wieder auf, zumindest bie
tet der Privathaushalt für die Reaktivierung solcher kruden
Stereotype ein gut geschütztes Terrain, denn obwohl es
sich um einen Weltmarkt handelt, handelt es sich politisch
betrachtet um ein Niemandsland (Gather et al. 2002: 9).
das Haus? Wer versorgt die Kinder? Wer kümmert
sich um die Alten?” keine Frage mehr ist, die es
nur im Rahmen des Containermodells der Natio
nalgesellschaft zu diskutieren gilt, sondern längst
eine Frage der internationalen Arbeitsteilung ist
(Rerrich 2002: 21).
Noch einmal: Globalisierung und Geschlecht
Der Blick auf die Kulturbegegnungen im globalen
Tourismus wie im Weltmarkt Privathaushalt macht
deutlich, dass gender matters (Wichterich 2000).
Aber - um beim Bild zu bleiben - it matters in
different ways: Denn das weibliche oder das männ
liche Geschlecht gibt es nicht. Was wir finden, sind
nicht einmal-für-immer gestellte Geschlechterpra
xen und -identitäten, wie es in der feministischen
Engendering-Debatte und ihren Beschwörungen
des Geschlechtskollektivs den Anschein hat. Statt
auf die Strukturförmigkeit der sozialen Ordnungs
kategorie Geschlecht und seine Gemeinsamkei
ten abzuheben, zeigt eine Ethnologie der Glo
balisierung gewissermaßen in post-strukturalisti-
scher Manier die durch Globalisierung forcierte
Offenheit und die individuellen Unterschiede von
geschlechtsspezifischer Identitätsbildung und von
Geschlechterbeziehungen. 18 D. h. auf der Ebene
der Interaktion, auf der Männer und Frauen sich
zueinander positionieren und dabei zu Frauen und
Männern machen, gibt es nicht nur entlang unter
schiedlicher Gesellschaftsgruppen, sondern auch
innerhalb der Praxis ein und derselben Gruppe,
ja sogar innerhalb der Praxis einzelner Akteure,
vielfältige Differenzen, so dass von einer Kreoli-
sierung der Geschlechter gesprochen werden kann.
Kreolisierung bedeutet dabei keine kunstförmige
Auflösung der Geschlechterdifferenz in kulturel
len Zwischen weiten. Kreolisierung als analytische
Kategorie bedeutet, dass Weiblichkeits- und Männ
lichkeitsmuster und -praktiken im Zeitalter der
Globalisierung durch unterschiedliche kulturelle
Kontexte geprägt sind.
Natürlich sind doing gender-Prozesse auch im
Zeitalter der Globalisierung weiterhin in eine aus
geprägte sexuelle Infrastruktur eingebettet. Der
Privathaushalt als durch und durch geschlechts-
segregierter Raum mit seinen Assoziationen von
Familie, Beziehungsarbeit und Mutterschaft, aber
18 “Ihr Erkenntnisinteresse richtet sich auf die Spielräume für
neue Deutungen und Aushandlungen der Geschlechterre
präsentation und -performation, für Individualisierungsstra
tegien und Pluralisierung der Lebensentwürfe” (Wichterich
2000: 52).