Anthropos 100.2005
Rezensionen
Akazawa, Takeru, and Sultan Muhesen (eds.): Ne-
anderthal Burials. Excavations of the Dederiyeh Cave,
Afrin, Syria. Auckland; KW Publications, 2003. 394 pp.
ISBN 4-9901694-3-3. Price: $90.00
Mit dem vom japanischen Anthropologen Takeru
Akazawa und dem syrischen Archäologen Sultan Muhe
sen herausgegebenen Band “Neanderthal Burials” wer
den jetzt in großer Ausführlichkeit zwei Funde präsen
tiert, die für die Paläoanthropologie von herausragender
Bedeutung sind; die beiden Skelette von Neandertaler-
Kindern, die Anfang der 90er Jahre von dem japanischen
Anthropologenteam in der Dederiyeh-Höhle in Syrien
gefunden wurden. Die beiden in situ gefundenen Skelet
te aus dem späten Mousterien sind insbesondere wegen
ihres außerordentlich guten Erhaltungszustandes unter
osteologischen und morphologischen Aspekten von her
ausragender Bedeutung für die Erforschung der Nean
dertaler. Weil bisher noch keine Neandertaler-Skelette
von Kleinkindern gefunden wurden, stellen die beiden
Funde eine Art “missing link” für diesen Bereich dar.
Viele glückliche Umstände wie gute Konservierungs
bedingungen, eine fachgerechte Exhumierung der sehr
porösen Knochen und nicht zuletzt die schwierige Auf
gabe, sie bei Kleinkindern überhaupt als Neandertaler-
Knochen zu identifizieren, machen die beiden Skelette
zu einem Ausnahmefund und damit zu Objekten, welche
die Paläoanthropologie mit großem Interesse verfolgt.
Das Buch ist in insgesamt sechzehn Kapitel einge
teilt, von denen sich die ersten drei mit den archäolo
gischen, geologischen und paläoökologischen Aspekten
der Dederiyeh-Höhle und ihrer Umgebung befassen.
Inr archäologischen Teil werden ausführlich die Stra-
figraphie und die Funde aus der Höhle vorgestellt, die
zahlreiche lithische Zeugnisse, hauptsächlich Levallois-
Klingen, -Spitzen und -Abschläge aus dem levantini-
schen Mousterien und dem Natufien, umfassen. Die
Ethischen Funde sind insgesamt sehr gut aufgearbeitet,
Jedoch ist die Tatsache etwas verwirrend, dass dabei
die Funde aus sämtlichen in der Höhle vorhandenen
Schichten vorgestellt werden, die Funde aus den beiden
Schichten mit den Gräbern jedoch nur sehr rudimentär
mit den Gräbern in Verbindung gebracht werden.
Nach dem archäologischen Teil folgen zwei Kapi-
te l die sich mit dem paläoökologischen, dem geologi
schen und dem paläobotanischen Kontext der Dederi-
yeh-Höhle befassen. Auch hier sind die Befunde gut
Und erschöpfend aufgearbeitet, doch genauso mangelt
es auch hier am Bezug zum Kontext der beiden Nean
dertaler-Skelette. Insbesondere die mineralogischen und
sedimentologischen Analysen sind vom geologischen
Standpunkt sehr interessant, entbehren aber viel zu sehr
der Bezugnahme zum archäologischen Hintergrund.
Die restlichen dreizehn Kapitel widmen sich der
Morphologie der beiden Skelette sowie deren Re
konstruktion durch das japanische Anthropologenteam.
Schon anhand der Kapitelzahl deutet sich an, dass
dies den eigentlichen Schwerpunkt des Buches bildet.
Systematisch und mit sehr detaillierten osteologischen
Beschreibungen werden dabei von Kapitel zu Kapitel
der Kopf, der Rumpf und die Extremitäten der beiden
Skelette aufgearbeitet. Inhaltlich werden dabei folgende
Bereiche voneinander differenziert; (1) Dokumentation
der Knochenlage und der Knochenanzahl, (2) Analyse
der kranialen Knochen, (3) Analyse der postkranialen
Knochen, (4) Aspekte der Altersbestimmung und (5) ei
ne ausführliche dentale Analyse.
Das große Problem, dass sich den Bearbeitern bei der
Untersuchung der Morphologie stellte, war die spärliche
Referenz auf andere Studien von Neandertaler-Kindern.
Die Altersbestimmung der beiden Skelette ergab, dass
beide Kinder wohl etwa zwei Jahre alt waren. Die ande
ren bisherigen Kinderfunde von Neandertalern, etwa im
usbekischen Teshik Tash, sind nach ihrer anatomischen
Entwicklung jedoch wesentlich älter. Daher beließen die
Bearbeiter es nicht nur dabei, eine große Fülle ah kon
ventionellen osteometrischen und osteologischen Unter
suchungsmethoden anzuwenden, sondern auch zahlrei
che, für gewöhnlich seltener beachtete und z. T. auch
selbst entwickelte Untersuchungsmethoden zu verwen
den, um das Problem der fehlenden Vergleichsbeispiele
zu lösen. Die Rekonstruktion der Skelette sowie der
morphologischen Entwicklung erfolgte unter anderem
anhand eines Vergleiches mit der Knochenbeschaffen
heit heutiger japanischer Kinder im gleichen Alter.
Auch mit der Entwicklung zahlreicher dreidimensio
naler Computermodelle zur Ergänzung fehlender Daten
haben die Autoren besondere Originalität zur Bewälti
gung des Problems der fehlenden Referenz bewiesen.
Bei der Darstellung des Rekonstruktionsprozesses ver
deutlichen schon allein die Beschreibungen des ange
wandten (technologisch sehr anspruchsvollen) Verfah
rens, mit welcher Komplexität dieser Prozess verbunden
ist und mit welcher Detailverliebtheit und Genauigkeit
er von den Bearbeitern bewerkstelligt worden ist.