Ethnologische Anmerkungen zu Jules Vernes Darstellung der “Totenfolge” in außereuropäischen Begräbnissen
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Anthropos 100.2005
Abb. 1: Der tote Häuptling Kara-Tete und seine Frau wer
den auf einer Bahre zur Begräbnisstätte getragen (Veme
1977a: 344).
den jedoch niemals berauschende Getränke herge
stellt. 4
Im Roman werden nach dieser ausschweifen
den Feier die Körper des Häuptlings und sei
ner Frau in eine hockende Position gebracht und
auf einer Bahre zu dem auf einem Hügel liegen
den Bestattungsplatz (urupa) 5 getragen (Abb. 1).
Die Begräbnisstätte steht, wie auch der ganze
Hügel, unter einem strengem Tabu (tapu), welches
den Maori das Betreten der Stätte verbietet. 6 * Die
hier zuletzt wiedergegebenen Details von Vernes
Darstellung eines Maori-Begräbnisses lassen sich
4 In voreuropäischer Zeit kannten die Maori wahrscheinlich
keine alkoholischen Getränke (Murdoch 1994:485). Sie
sind aber später dazu übergegangen, den Saft der tutu-Beere
(Coriaria sormentosa) zu vergären (Reischek 1924: 167;
Murdoch 1994: 485).
5 Jules Veme schreibt im französischen Original oudoupa,
ein Wort, das in den deutschen Übersetzungen mit udupa
übertragen wird. Als urupa bezeichnet man auch jene
Zäune, die ein Grab umgeben (Williams 1957: 470).
6 Über die weiteren bedeutsamen Ereignisse, die in einem
engen Zusammenhang mit dem Friedhofstabu stehen, siehe
Kap. 3.
anhand der ethnographischen Literatur bestätigen
(Best 1952:115, 120).
Veme macht zudem noch darauf aufmerksam,
daß es sich bei der auf dem Hügel gelegenen
Grabstätte nicht um den endgültigen Bestattungs
ort handelt. Die Leichen verbleiben dort nämlich
nur bis “zu dem Zeitpunkt, an dem der Verwe
sungsprozeß in der Erde nur das Gerippe übrig
gelassen haben würde” (Verne 1977a: 343). Bei
den Maori war tatsächlich die Sitte der Sekun
därbestattung weit verbreitet. Im Rahmen einer
als hahunga bezeichneten Zeremonie wurden die
Gebeine exhumiert und gesäubert (Best 1952:
116) um sie anschließend andernorts aufzube
wahren.
2.2 Afrika
In “Das Dorf in den Lüften”, einem in Zentral
afrika spielenden Spätwerk Jules Vernes, weist
der französische Schriftsteller, ohne eine konkrete
Ethnie zu nennen, auf die bei Begräbnissen statt
findenden Enthauptungen von Sklaven hin. Man
bindet deren Kopf an einen heruntergezogenen,
elastischen Zweig, der nach erfolgter Enthauptung
in seine ursprüngliche Position zurückschnellt und
dabei den Kopf des Exekutierten weit fortschleu
dert (Verne 1902: 23). Veme dürfte sich bei seiner
kurzen Schilderung auf das Schrifttum von Ca
mille Coquilhat (1888: 170-174) gestützt haben,
der in seinem Buch “Sur le Haut-Congo” solch
eine makabre Hinrichtung beschreibt, die er als
Augenzeuge bei den Wangata miterlebt hatte. Sei
ner minutiösen Darstellung aller Abläufe ist auch
eine Illustration beigefügt worden (siehe Coquilhat
1888: 173).
Ebenso berichtet der lange Zeit in Afrika wei
lende deutsche Priester und Ethnologe Paul Sche-
besta folgendes zur Hinrichtung von Sklaven bei
den in Zentralafrika lebenden Nkundu: “Inmit
ten des Platzes wurden Pfähle eingerammt und
auf den Stumpf einer Bananenstaude ein Sklave
gesetzt und so festgebunden, daß er sich nicht
rühren konnte. Etwa drei Meter vor seinen Füßen
wurde eine lange, federnde Stange in den Bo
den gerammt, ihr oberes Ende gegen seinen Kopf
niedergebogen und mit Lianen festgebunden, so-
daß sich der Hals gewaltsam reckte ... Immer
wieder holte der Scherge zum Schlag aus und
immer wieder wich er zurück, tanzte weiter, bis
endlich das blanke Eisen die Luft durchsauste
und der abgehackte Kopf von der Wippe im Bo
gen weit weggeschleudert wurde ... Die Menge
stürzte sich auf den Kopf, um ihn zu erhaschen”