Ägyptische Altertümer des Linden-Museums 11
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wird“ oder auch: „Chons hat gesagt, daß er leben wird“. Namen dieser Bildung
(wobei statt des Gottes Chons, der als Sohn Amuns in Theben beheimatet ist, andere
Götternamen eintreten können) spielen offenbar auf ein Zeichen an, mit dem der
Gott der Mutter während der Erwartung oder auch bei oder gleich nach der Geburt
das Leben des Kindes verheißen hat 8 ). Chons erfreute sich großer Beliebtheit als
Orakelgott der Spätzeit. — Zwischen dem Seelenführer Anubis und dem Schreibergott
Thot hockt auf einem Postament ein Ungeheuer, Mischwesen aus Löwe, Nilpferd und
Krokodil. Das ist der „Fresser“, der die im Totengericht Verurteilten völlig vernichtet,
indem er sie verschlingt — das unmittelbare ikonographische wie theologische Vor
bild des mittelalterlichen Höllenrachens, wie wir ihn oft auf Darstellungen des Jüng
sten Gerichts sehen. Die christliche Gerichtsvorstcllung wäre nicht denkbar ohne die
Jahrtausende alte ägyptische Tradition.
Die Entstehungszeit unseres Papyrus verrät u. a. die Kleidung des Mannes (die
Gottheiten tragen uralte, traditionelle Gewänder), ebenso aber auch die Zeichnung
der Brust der Isis und der links anschließende Text, der in hieratisch-kursiven Schrift
zeichen geschrieben ist, wie sie erst in später Zeit für Totenbücher Verwendung findet.
Dem Zeichenstil nach möchte man die frühe Kaiserzeit annehmen. Als Ort, an dem
Djed-Chons-iuf-anch gelebt hat und begraben wurde, darf Theben gelten, da sein
Name mit dem des Chons gebildet ist und er Priesterämter bei den nur dort verehrten
Gottheiten Amonrasonther und Chons ausgeübt hat.
5.
In die interessante, wenn auch unharmonische und daher unbefriedigende Misch
welt der römischen Kaiserzeit Ägyptens führt uns ein kleiner und noch dazu künst
lerisch tiefstehender Grabstein ohne Inschrift (Abb. 4). Sein Material ist der weiche
ägyptische Kalkstein, der sich leicht bearbeiten läßt, seine Höhe beträgt 46, seine
Breite 42 cm. Die rechte untere Ecke ist abgebrochen, doch ist der Verlust an Relief
ganz gering.
Da dieser Stein einiges wissenschaftliche Interesse bietet und zu einer in letzter
Zeit mehrfach behandelten Gruppe gehört, sei er etwas ausführlicher besprochen.
Der architektonische Rahmen des erhabenen Reliefs, ein Giebeldach auf zwei
ägyptischen Pflanzensäulen, stellt ein Wohnhaus oder auch ein Grabgebäude dar. In
ihm liegt der Tote auf einem Bett mit gedrechselten 9 ) Beinen. Das ägyptischen Betten
eigentümliche Gefälle zum Fußende hin ist hier besonders stark, so daß die liegende
Gestalt des Mannes sich der Diagonale annähert. Fuß- und Kopfbrett sind lyraförmig
hochgezogen, so hoch, daß sie, wenn wir den oberen Querstrich zwischen ihren Enden
ernst nehmen sollen, eine Art Baldachin tragen können. Der Tote, mit Chiton und
Mantel bekleidet, liegt auf der Seite, den linken Ellenbogen bequem auf einige Kissen
gestützt; das Bettgestell ist mit einer Matratze gepolstert. Daß die Beine übereinander-
8 ) Vgl. zu dieser Namensbildung H. Ranke; Orientalist. Literaturzeitung 29, 1926,
Sp. 733 ff.
9 ) Die Drehbank taucht in Ägypten erstmals zur Zeit Alexanders d. Gr. auf:
G. Lefebvre, Le Tombeau de Petosiris, Taf. 10; vgl. jedoch auch das Berliner He-
not-Relief: R. Anthes; Zeitschr. f. äg. Sprache 75, 1939, S. 23 f.