Buchbesprechungen
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zu sehen. Diskretion ist nicht gleichbedeu
tend mit Glorifizierung!
Sicherlich haben die damals sehr populären
Expeditionsberichte der beiden Förster, eines
La Condamine oder Bougainville ihren Ein
fluß auf Humboldt ausgeübt, ebenso wie
während seiner Göttinger Jugendjahre eine
Englandreise mit Georg Förster seinen Wunsch
nach eigenen Forschungsunternehmungen be
stärkt hat. Das Studium und die Zeit als
Bergbaubeamter sind in ihrer intensiven wis
senschaftlichen Arbeit nur Vorbereitung auf
die große Zeit seines Forschens, die nach
mühseligen Vorarbeiten und zahllosen Rück
schlägen mit seiner amerikanischen Reise
(1799—1804) anbricht. Die Schilderung die
ser 5 Jahre bildet den anregendsten und
umfangreichsten Teil des vorliegenden Bu
ches. Zitate aus Humboldts eigener Reise
beschreibung und einige Stiche nach seinen
Handzeichnungen ergänzen das Bild die
ses gewaltigen Forschungsunternehmens auf
reizvolle Weise. Es muß den Leser allerdings
verstimmen, wenn die vom Verfasser oder
Verlag den Stichen beigegebenen Beschriftun
gen an drei Stellen nicht mit den — gleich
falls wiedergegebenen! — französischen Ori
ginalbildtiteln übereinstimmen : Taf. 4:
„Floß . . . auf dem Orinoko“ — Original:
„Radeau de la Rivière de Guayaquil“; Taf.
5: „Landschaft bei Quito mit dem Chimbo
razo“ — Original: „Passage du Quindiu, dans
la Cordillère des Andes“ (Quindio-Pass in
der kolumbian. Zentralkordillere); Taf. 10:
„Hieroglyphische Zeichnung aus einer alten
Inka(!)-Handschrift“ — Original: Hiéro
glyphique, firée au Manuscrit Borgien de
Veletri.“
Im Bericht über die Amerikanische Reise
berührt es den Völkerkundler besonders, mit
welcher Aufgeschlossenheit, mit welchem Ver
ständnis Humboldt den Eingeborenen und den
Zeugnissen vergangener Indianerkulturen ent
gegentritt. Er gibt aber nicht nur zuverläs
sige ethnographische Beschreibungen — wie
er auch auf allen Gebieten des Naturreiches
unermüdlich nach Ursprung, Werden und We
sen fragt, so auch hier: er ist einer der ersten,
die in den archäologischen Überresten Perus
und Mexikos das Gewicht uralter Kulturen
spüren, er erahnt in den Felszcichnungen des
Orinokotales die historische Tiefe „primiti
ver“ Indianerkulturcn. Humboldt war auch
überzeugt, gewisse gemeinsame Züge in My
thologie und Kunst sowie Übereinstimmungen
in Kalenderwesen und Astronomie zwischen
amerikanischen und asiatischen Kulturen ent
deckt zu haben und schloß daraus auf eine
asiatische Herkunft der Indianer, zumindest
aber auf eine starke Beeinflussung von Asien
her.
Die große Reise durch Venezuela, Kolum
bien, Ekuador, Peru, Mexiko und die Ver
einigten Staaten endet im Sommer 1804 in
Paris. Nun beginnt H. unter großen Schwie
rigkeiten gemeinsam mit zahlreichen bedeu
tenden Gelehrten die wissenschaftliche Aus
wertung seiner Forschungsergebnisse, als deren
Frucht im Laufe von nahezu 25 Jahren in
30 Bänden (Text, Atlanten, Abbildungen) die
„Voyage aux régions équinoxiales du Nou
veau Continent . . .“ vorgelegt wird — „das
größte und umfangreichste naturwissenschaft
liche Werk . . . das es zu jener Zeit gab“ (de
Terra, 146).
1827 in den Dienst des preußischen Königs
nach Berlin zurückgekehrt, bleibt Humboldt
wie stets in seine immer umfangreichere wis
senschaftliche Tätigkeit vertieft. Um so mehr
ehrt es ihn, daß er Zeit findet, neben seinen
akademischen Kollegs vor einem Publikum
aller Schichten seine naturwissenschaftlichen
Studien und naturphilosophischen Anschau
ungen in öffentlichen Vorlesungen darzu
legen: „Mit dem Wissen kommt das Denken,
und das Denken verleiht dem Volke Ernst
und Macht“ (Humboldt in einem Brief).
1829 bricht Humboldt noch einmal zu einer
großen Reise auf: 7 Monate durchstreift er
auf Einladung des Zaren Sibirien bis zur
chinesischen Grenze. Wenig später nimmt er
dann die Arbeit an der wichtigsten literari
schen Arbeit seines Lebens, dem „Kosmos“,
Entwurf einer physischen Weltbeschreibung“
auf. Dies kühne Werk sollte die gesamte
Kenntnis seiner Zeit von der Natur enthalten
und zugleich die naturphilosophischen Ideen
seines Autors darlegcn.
Während der Arbeit am 5. Band des Kos
mos überraschte der Tod den fast Neunzig
jährigen (6. Mai 1859). —
Der von de Terra unternommene Versuch
einer volkstümlichen Humboldtbiographie
darf im ganzen gesehen als gelungen bezeich
net werden. Um der Lesbarkeit willen
wünschte man allerdings hier und da eine
Straffung, die v. a. der Erklärung wissen
schaftlicher Tatbestände zugute käme. Im
übrigen sollten in einer etwaigen späteren
Auflage einige Druckfehler (z. B. Pyata anst.