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Buchbesprechungen
hier vorgelegte Arbeit in erstaunlich reichem
Maße tut.
Vom Ethnologischen her soll hier wenig
stens noch ein, wie mir scheint sehr wichtiger
Gedanke Smollas aufgegriffen werden. Im
Zusammenhang mit Venusstatuetten und neo-
lithisdher Gefäßornamentik nimmt er an (p.
82), die Werke paläolithischer Kunst seien
nach naturvölkischen Analogien von Männern
gechaffen worden, die neolithische Keramik
dagegen sei Frauenarbeit. Dem ist wohl zu
zustimmen. Hier sei in diesem Zusammenhang
auf einen Sachverhalt hingewiesen, der in der
Diskussion ähnlicher Probleme bisher viel zu
wenig berücksichtigt worden ist: darauf, daß
gar nicht selten der männliche und der weib
liche Teil einer Population sich völlig ver
schiedener Ornamente bedienten und Objekte
benützten, die ganz verschieden ornamentiert
sind — es sei nur an die Prairie-Indianer er
innert. Da nun innerhalb einer bestimmten
Kultur diejenigen Werkstoffe, die normaler
weise von Frauen bearbeitet werden, sich
meist von denen unterscheiden, die die Män
ner verwenden (Metalle, Holz, gelegentlich
Ton und Leder; die Frauen dagegen: Tex
tilien, Flechtarbeiten, gelegentlich Ton und
Leder) kann bei archäologischen Fundkom
plexen leicht ein falsches oder doch völlig
einseitiges Bild entstehen, weil sich unter glei
chen Lagerungsbedingungen nicht alle Mate
rialkategorien gleich gut erhalten. Wenn dann
Fundplätze ergraben werden, bei denen ganz
besonders günstige Erhaltungsbedingungen
vorliegen, wie etwa in Mooren oder Seen,
merkt man gelegentlich, daß das bisherige
Bild dieser Kultur in entscheidenden Punkten
zu korrigieren ist. Das war z. B. beim Be
kanntwerden der Pfahlbaufunde im ober
schwäbisch-schweizerischen Raum der Fall.
Ähnlich — so scheint mir — ist es uns aber
auch in einem anderen Gebiet ergangen: seit
Rudenkos Grabung im zweiten Pasyrykkur-
gan wissen wir, daß man im Steppenraum
jener Zeit nicht nur im Tierstil arbeitete. In
jenem Kurgan haben sich dank der ewigen
Gefrörnis auch zahlreiche Arbeiten erhalten,
die größtenteils mit pflanzlichen oder geo
metrischen Mustern verziert waren. Rudenko
sagt mit Recht (S. I. Rudenko: Der zweite
Kurgan von Pasyryk, Berlin 1951, 90), daß
man seit diesem Fund skythische Kunst und
Tierstil nicht mehr als Synonyme behandeln
dürfe, weil Taschen, Beutel, Kleider, Schuh
werk und Musikinstrumente ebenso wie
Applikationen in Filz und Leder vorwiegend
mit vegetabilen Mustern verziert waren, Ge
webe mit geometrischen. Dieser Fund läßt
gewiß erkennen, daß es vorwiegend, wenn
nicht ausschließlich, die Männer waren, die im
Tierstil arbeiteten und die so verzierten Ob
jekte trugen oder verwendeten, während in
der Sphäre der Frau vegetabile Muster und
geometrische Ornamente daheim waren, wie
es in der Nomadenkunst Zentralasiens und
des Orients bis heute geblieben ist (Teppiche!).
Smolla sagt eingangs, es sei seine Absicht,
eine Diskussionsgrundlage zu schaffen. Das
hat er sicher getan. Unser gemeinsamer, ver
ehrter Lehrer Kurt BIttel hat bei der Diskus
sion einer berühmten Arbeit einmal gesagt, cs
gebe Arbeiten, über die Jeder schimpfe, von
denen aber jeder profitiere. Smollas Unter
suchung dürfte bald zu ihnen gehören — je
mehr, desto besser! F. Kussmaul
ZOLTAN KODALY:
Die ungarische Volksmusik. Budapest: Cor-
vina 1956. 181 S.
Im Jahre 1905 begannen die als Kompo
nisten und Forscher gleich bedeutenden unga
rischen Musiker Zoltän Kodäly und Bela
Bärtok mit Hilfe des Phonographen das Sam
meln ungarischer Volkslieder. 1906 gaben sie
gemeinsam die Sammlung „Zwanzig ungari
sche Volkslieder“ als Frucht ihrer ersten Rei
sen heraus. Was diese frühe Sammlung in
ihren Weisen — noch mit Klavierbegleitung
popularisiert bearbeitet — schon ankündigte,
das bestätigen die in den folgenden Jahren
von beiden Forschern in intensiver Feldarbeit
aufgezeichneten Melodien: was man bislang
für das „ungarische Volkslied“ gehalten hatte,
hat mit diesem wenig oder nichts zu tun.
Diese Erkenntnis wurde 1925 in Bärtoks
Buch „Das ungarische Volkslied“ klar aus
gesprochen; doch blieb sie auf einen kleinen
Fachkreis beschränkt. Auch heute noch wird
oft genug ungarische Volksmusik und Zigeu
nermusik gleichgesetzt, werden Volkslied und
volkstümliches Kunstlied nicht auseinander-
gehaltcn. All die Melodien, die in den zahl
losen ungarischen Tänzen und Rhapsodien, im
Csardas und den Zigeunerweisen des 19. Jahr
hunderts als Material verwandt worden sind
(auch in den Kompositionen von Liszt oder
Brahms), entstammen dem Bereich der volks
tümlichen städtischen Kunst- und Tanzmusik,