BESPRECHUNGEN UND BÜCHEREINGÄNGE
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Waldschmidt’s Gandhara-Werk zur schnelleren Orien
tierung beitragen.
Wünschenswert scheint es mir, eine kommende Auf
lage durch Erklärung einzelner indischer Fachausdrücke
für Laien zu erweitern, um diesen die Materie dadurch
vertrauter zu machen resp. ihrem Anpassungsvermögen
entgegenzukommen. Alfred Maaß _
Hintermann, Heinrich, Unter Indianern und Riesen
schlangen. Zürich und Leipzig: Grethlein. 1926.
330 S. Mit 95 Abbild. 8°.
In zweifacher Hinsicht ist das vorliegende Buch von
ethnologischem Interesse und daher wert, hier an dieser
Stelle besprochen zu werden; einmal wegen seiner
wichtigen Mitteilungen über die Veränderungen, welche
unter den zuerst von K. von den Steinen entdeckten und
dann später auch von Hermann Meyer besuchten In
dianern seit der Zeit meines Aufenthaltes unter ihnen im
Jahre 1900 stattgefunden haben; zweitens wegen seiner
näheren Angaben über die reichen Erfolge, welche die
auf die Initiative des tatkräftigen Generals Candido
Mariano da Silva Rondon zurückzuführenden Unter
nehmungen der staatlichen Indianerfürsorge (Proteccäo
dos Indios) in den letzten Jahren zu verzeichnen haben.
Die Gelegenheit zu seiner Reise ins Xingu-Quell
gebiet wurde dem Verfasser dadurch geboten, daß er sich
einer brasilianischen Militärexpedition anschließen
konnte, die 1924 im Dienste der Linhas telegraphicas
estratégicas Matto-Grosso-Amazonas und unter der
Leitung des äußerst tatkräftigen und erfahrenen brasi
lianischen Hauptmanns Vicente de Vasconcellos nach
dem Xingu-Quellgebiet ausgesandt wurde, um den
Ronuro-Fluß zu vermessen und um Beziehungen an
zuknüpfen zwischen den Indianerstämmen am Kuluene
und Kulisehu und der zwischen der Quelle des Ronuro
und dem Paranatinga neuerrichteten Station für Ein
geborenenfürsorge in Simon Lopez.
Die Indianerverhältnisse im Xingu-Quellgebiet
haben insofern wichtige Veränderungen erfahren, als die
hier zur Zeit meiner Expedition in zwei Dörfern am
Kulisehu lebenden Bakairi-Indianer sämtlich nach der
erwähnten Station Simon Lopez übergesiedelt sind, daß
ferner die Waurá, welche zur Zeit der von den Steinen-
schen Expedition im Gebiet des unteren Batovy wohnten,
nach dem mittleren Kulisehu hinübergezogen sind
und daß ein Teil der Trumai, die zur Zeit meiner Expedi
tion bei den Mehinakú wohnten, heute unter den Nahukua
in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis wie früher
bei den Mehinaku lebt. Die Suyá leben noch immer in
Feindschaft mit den übrigen Stämmen, und es finden
auch jetzt noch Zusammenstöße mit ihnen statt. So traf
der Verfasser in einem Lager der Kamayura einen Suyá-
Mann an, der von diesen auf einem Kriegszuge gefangen
genommen war, und ebenso befand sich eine kriegs-
gefangene Suyá-Frau mit ihrem fünfjährigen Sohn bei
den Waurá.
Da die auf der Rückreise begriffene Expedition mit
großer Eile den Kulisehu aufwärts fuhr, so waren es nur
die zwischen dem 31. August und dem II. September
liegenden 12 Tage, an welchen der Verfasser in dem
Gebiet der noch unabhängig gebliebenen Indianer weilen
konnte. Eine größere Anzahl vorzüglicher photographi
scher Aufnahmen von Kulisehu-Indianern sowie die erste
Photographie, die wir von den Suya überhaupt besitzen,
sind in dem vorliegendem Buche wiedergegeben. Im
übrigen ist an neuen ethnographischen Beobachtungen
in dem Buche nicht vieles enthalten. Jedenfalls waren
dem Verfasser seine ethnologischen Forschungen dadurch
sehr erschwert, daß er sich, wie er selbst ausdrücklich
zugibt, vor der Reise nie die Mühe genommen hatte, die
portugiesische Sprache zu erlernen. Das letztere wäre
meines Erachtens ein ebenso wichtiges Erfordernis zur
Ausführung der Reise ins Xinguquellgebiet gewesen, wie
die Kenntnis des Reitens, mit welcher der Verf. ebenfalls
nicht vertraut war. Die portugiesisch verstehenden In
dianer von Simon Lopez hätten jedenfalls dem Verfasser
wichtige Dolmetscherdienste leisten können, wenn er sich
gut mit ihnen hätte verständigen können, und manche
der in großer Ausführlichkeit geschilderten kleinen per
sönlichen Unfälle, die sicherlich nicht dazu beigetragen
haben, den Verfasser in seiner Eigenschaft als Forschungs
reisenden bei den in solchen Dingen sehr erfahrenen
Brasilianern in besonders günstigem Lichte erscheinen
zu lassen, hätten vermieden werden können, wenn er des
Reitens kundig gewesen wäre und mit Reittieren um
zugehen verstanden hätte.
Bezüglich der vom Verfasser angeführten ethnolo
gischen Tatsachen möchte ich die folgenden Einzelheiten
bemerken: Wohl nur auf irgendeinem Versehen beruht
die falsche sprachliche Gruppierung der Kulisehu-
Stämme auf S. 229, wo die Uaura (Waurä) und die Uala-
piti (Yaulapiti) als Karaibenstämme bezeichnet werden,
obgleich es sich bei ihnen in Wahrheit nach den von den
Steinenschen Untersuchungen, auf die sich der Verf.
ausdrücklich beruft, um Aruak-Stämme resp. Nu-
Aruakstämme handelt. Wenn der Verf. bei der Schil
derung der einheimischen Bodenkultur der Indianer im
Xinguquellgebiet angibt, daß bei Bearbeitung des Bodens
ausschließlich Grabholz und Hacke verwendet würden,
so könnte diese Angabe nur unter der mir sehr unwahr
scheinlichen Voraussetzung auf richtiger Beobachtung
beruhen, daß tatsächlich in letzter Zeit eiserne Hacken
in größerem Umfange durch die Station Simon Lopez
in diese Gegenden eingeführt sind. Als Gerät bei der ein
heimischen Bodenkultur imXingu- Quellgebiet hat es ein
hackenartiges Instrument niemals gegeben, wie denn auch
der Boden bei dieser Kultur überhaupt nicht umgehackt
wird, so daß die Bezeichnung Hackbau überhaupt nicht
für sie angewendet werden kann. Bezüglich der Angabe
des Verf., daß Signaltrommeln im Xingu-Quellgebiet
fehlen, ist zu bemerken, daß jedenfalls in früherer Zeit
in einzelnen Dörfern solche vorhanden waren, wie sie
denn auch von K. von den Steinen und mir in unseren
Veröffentlichungen geschildert worden sind.
Leider sind in dem vorliegendem Buche nur sehr
wenige Gebrauchsgegenstände der besuchten Indianer
stämme abgebildet worden, und bei den wenigen dies
bezüglichen Abbildungen handelt es sich nicht immer um
die von den Expeditionsmitgliedern heimgebrachten
Gegenstände, wie denn der Korb auf S. 96 bis auf den
etwas veränderten Henkel in allen Einzelheiten genau
von dem in meinem Buche; Indianerstudien in Zentral
brasilien auf S. 347 abgebildeten Bakairi-Korbe — aller
dings ohne Herkunftsbezeichnung — abgezeichnet
worden ist. Prof. Dr. Max Schmidt.