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immer angenommen wird, ein menschliches „Gesicht“ darstellt oder nicht und was sie
darstellt, ohne die Absicht, sich auf sonstige Deutungsversuche aller möglichen Ornamente
einzulassen, da eine solche Untersuchung zu weit führen würde.
Um die aufgeworfenen Fragen zu lösen, suchen wir Darstellungen realistisch behandelter
Figuren an beschnitzten und bemalten Gegenständen anderer Art, damit wir zuerst einmal
eine objektiv richtige Deutung erhalten. Indem wir auf manchen Schilden des Typ Potsdam
hafen den Vogel, zunächst, soweit er realistisch dargestellt ist, also als solcher sicher zu
erkennen ist, vorfinden, erinnern wir uns, daß er in der Südsee nicht nur als mythologische
Figur eine große Rolle spielt, sondern auch als Darstellungsobjekt des Künstlers, besonders
in Neu-Guinea selbst, mit an hervorragender Stelle steht. Hier sowohl in Holländisch Neu-
Guinea wie auch als gemalte und plastische Figur an Gegenständen der am K.-A.-Fl,
wohnenden Eingeborenen. Als plastische Darstellung findet er sich an menschlichen Holz
figuren, an geschnitzten Brettern, als Giebelspitze (Abb. I, bei einer anderen Giebelspitze
steht er auf den Schultern einer menschlichen Figur) usw. Malerisch behandelt finden wir
den Vogel in realistischer Darstellung besonders auf bemalter Baumrinde (übrigens auch auf
den bekannten schönen Federschilden teilweise sehr deutlich) z. T. als Kakadu erkennbar
(Eichhorn 1 , Fig. 21, oben am Rande beiderseits).
Hatte nun der Künstler an den breiten und ebenen Flächen der Schilde einen besonders
großen Spielraum sowohl für seine Phantasie, mit deren Hilfe er sich in realistischen Dar
stellungen und dann in Stilisierungen ergehen konnte, als auch für seine Kenntnis in mytho
logischen Dingen und in den als Schutzgeister, Dämonen oder Abschreckungsbildern ge
bräuchlichen Darstellungen, eine besonders gute Gelegenheit, diese Muster in Anwendung
zu bringen, so ist es erklärlich, daß wir wichtige Figuren, wie den Vogel und das Gesicht
auch hier ausgiebig behandelt wiederfinden. In der Gruppe Potsdamhafen sind mehrere
Schilde vorhanden, deren zu oberst liegendes als erhabene Fläche geschnitztes und bemaltes
Hauptornament einen deutlichen Vogel darstellt (Abb. 1, Nr. 2—3; Abb. la, Nr. 2 und
Fig. 1, 2, 5, 6). Einmal finden wir den Vogel freistehend geschnitzt oben auf der Vorderseite
eines Schildes (Abb. la, Nr. 4),
Dem künstlerisch veranlagten Hersteller der Verzierungen geht es natürlich ebenso wie
dem phantasiebegabten Künstler eines in der Kultur höherstehenden Volkes. Sei es aus
Spielerei, sei es mit einer bestimmten Absicht, sucht er die im Ornament freigebliebenen
Flächen auszufüllen indem er Ergänzungen hinzufügt zu einem Bilde, das er in seiner
Phantasie aus der Umgrenzung der freigebliebenen Fläche herausliest. Hat diese Fläche
etwa annähernd den runden oder ovalen Umriß eines Gesichtes, so fühlte sich auch der ein
geborene Künstler veranlaßt, sie als Gesicht umzugestalten. Er tat dies, indem er zunächst
in die Gegend der Augen zwei Punkte oder Kreise hineinsetzte oder, wo solche Kreise schon
vorhanden (wie das Flügelkreisornament!), diese als Augen benutzte (vgl. etwa Fig. 7), ging
er gleich weiter, was jedoch nicht immer der Fall war, so fügte er noch einen Mund hinzu,
(Bei den Schilden vom K.-A.-Fl. ist nämlich die Nase in Gestalt des Vogelhalses meist
schon vorhanden.) Diese psychologisch begründete Ergänzungssucht der Künstlerphantasie
hat auch die Entstehung des Gesichtes unterhalb der Vogelfigur auf den
Schilden von Potsdamhafen und anderen veranlaßt, womit zugleich gesagt ist, daß die
Figur des Vogels das primäre Ornament und das Menschengesicht das
sekundäre ist.
Betrachten wir nun unter diesen Gesichtspunkten die in Abb. I wiedergegebenen be
malten Baumrinden, so ist die unten links abgebildete in dieser Beziehung besonders inter
essant und instruktiv. Der fliegende Vogel ist mit seinem fächerförmigen Schwanz und den
ausgebreiteten Flügeln (typische Flügelzeichnungen!) so deutlich dargestellt, daß kein
1 s. Literaturverzeichnis.