Besprechungen und Büchereingänge.
Plaetschke, Bruno, Königsberg: Vom kulturellen Leben in
den kleinen autonomen Gebieten des Nordkaukasus.
(Osteuropa. Zeitschrift für die gesamten Fragen des
europäischen Ostens, Berlin, 3. Jhg. 1928, S. 689—
697.)
Der Verfasser, der schon vor der Errichtung der Sow
jetherrschaft verschiedene Teile des Kaukasus bereist
hat, besuchte im Jahre 1927/28 den Dagestan und das
autonome Gebiet der Tschetschenen zu landes- und volks
kundlichen Studien. In der vorliegenden Arbeit gibt er
die Ergebnisse seiner Untersuchungen über die Aus
wirkung der kulturellen Autonomie im Nordkaukasus
wieder. Er will schildern, „welche kulturellen Fort
schritte die kleinen Völker seit dem Bestehen der Auto
nomie schon gemacht haben und auf welchem Wege sie
erreicht wurden“. Recht wichtig erscheint mir der Ge
sichtspunkt, daß es dabei nicht nur auf eine Wiedergabe
mehr oder minder statistisch erfaßbarer Tatsachen an
komme, sondern auf die Stimmung, die in diesen kleinen
Völkern heute herrsche, darauf, wie sie selbst ihre Lage
empfänden, auf ihre innere Einstellung zum Sowjet
system. Als Ergebnis teilt P. mit, daß die kleinen Völker
im allgemeinen mit der Sowjetregierung sympathisierten,
die ihnen auf dem Gebiet des Schulwesens, der Kranken
behandlung und auch des Wirtschaftslebens mancherlei
Gutes gebracht hätte. Immerhin sagt er, daß etwa eine
gleichmäßige Besitzverteilung, die theoretische Grund
maxime des Systems, bei dem unbändigen Sinn der Ge-
birgsvölker zu schweren Erschütterungen führen müßte.
Wie überall in Rußland und Sibirien bildet die G. P. U.,
die frühere Tscheka, die gefürchtetste Behörde, die sich
ja auch durch ihre Methoden weder bei den Russen noch
bei den sonstigen Völkerschaften als „gerecht“ arbeitend
erweisen konnte. Da sie überall ihre geheimen Mit
arbeiter hat, ist sie mit am meisten daran schuld, daß
nirgendwo in Rußland bei den etwas höher kultivierten
Völkern eine ruhige Arbeitsstimmung entsteht. Sie ist
im Zusammenhang mit der drückenden Wirtschaftslage
Rußlands daran schuld, daß die schweren moralischen
Vergiftungen des Dorf- und Stadtlebens im Gesamtgebiet
der U. d. S. S. R. sich nicht vermindern, und anstatt
gegenseitiges Vertrauen zu verbreiten, für den Wirt
schaftsprozeß eine unbedingte Voraussetzung, überall
Mißtrauen, Heuchelei, Hinterlist und Angeberei das Feld
beherrschen. — Auch im Kaukasus konnte P. feststellen,
daß die Repräsentationsposten gewöhnlich von Ein
heimischen bekleidet werden, die wichtigeren Sekretariate
dagegen von Russen, Juden oder sonstigen Andersstäm
migen.
Die antireligiöse Propaganda der Sowjets ist den Ein
geborenen am wenigsten angenehm, und P. schreibt
dieser Propaganda auch die Hauptursache der schweren
und sehr blutig niedergeschlagenen Aufstände in den
Bergen zu. Diese antireligiöse Propaganda richtet sich
ja nicht nur gegen die christliche und mohammedanische
Religion, die der Verfasser anführt, sondern ebensogut
auch gegen den Buddhismus und Schamanismus, wo
überall dieselbe Verbitterung hervorgerufen wird. Die
Tatsache der antireligiösen Propaganda zeigt ja, daß auch
die kulturelle Autonomie letzten Endes nur eine recht
beschränkte ist. Und die sozialistische Religion, die man
den Völkern dafür bringt, ist leider so sehr durch den
Klassenkampfcharakter des Sowjetstaatswesens getrübt,
daß vom Sozialismus außer dem Namen eigentlich nicht
das geringste zu spüren ist.
Ganz mit meinen Beobachtungen in Sibirien stimmen
auch Plaetschkes Einsichten darin überein, daß der Vor
gang der Russifizierung durch Erteilung der sogenannten
kulturellen Autonomie und auch trotz der Bevorzugung
der jeweiligen Landessprache gegenüber dem Russischen
keineswegs aufgehalten worden wäre, sondern eher noch
rascher vorwärtsschritte als früher. Diesen Prozeß kann
man an allen Ecken und Enden des Sowjetreiches bei
allen Völkerschaften beobachten, in den Tundren und
Wäldern Nordsibiriens, in den Steppen des Südens, im
Osten und Westen. Für die Ethnographie ist dieser Vor
gang aber eine gewaltige Mahnung, so schnell wie nur
möglich noch zu retten, was in letzter Stunde noch zu
retten ist. Die alten Eingeborenenkulturen Rußlands
gehen mit Riesenschritten ihrem endgiltigen Untergang
entgegen.
Hans Findeisen.
Frazer, James George: Der goldene Zweig (the golden
bough), das Geheimnis von Glauben und Sitten der
Völker. Abgekürzte Ausgabe. Leipzig 1928, C. L.
Hirschfeld Verlag. VII und 1087 Seiten, 8°.
Es sind 39 Jahre her, seitdem die erste Auflage des
“golden bough” 1890 in drei Bänden erschien. In der
dritten Auflage war das Buch durch die Vermehrung der
Quellen über denselben Inhalt auf zwölf Bände ange
schwollen, so daß der Gedankengang des Ganzen, der
schon an sich durch die vielseitige Erklärung des Aus
gangs, der Überlieferung über den Priesterkönig des Sees
von Nemi, nicht leicht festzuhalten war, unter den zahl
reichen Belegen aus der ganzen Welt vollkommen be
graben wurde. Es ist deshalb zu begrüßen, daß der kunst
volle Aufbau mit seinen sprachlichen Schönheiten durch
diese Ausgabe in einem Bande wieder einigermaßen ge
rettet worden ist. Das ist freilich nur durch Fortlassen oder
Kürzen sehr vieler Beispiele, der Anmerkungen und der
Quellenangaben erreicht worden, wodurch das Werk auf
etwa ein Fünftel des Umfangs der zwölfbändigen Ausgabe,
aber unter Beibehaltung der ganzen Anordnung verklei
nert werden konnte.
Dieser verkürzte Band ist aber für die Ethnologie auch
deshalb wichtig, weil der Verfasser durch ihn zum Aus
druck bringt, daß er noch jetzt seiner ursprünglichen All
gemeinauffassung treu geblieben ist. Letzten Endes ist
er Evolutionist, der davon überzeugt ist, daß die Hoff
nung auf Fortschritt — und zwar sowohl auf sittlichen